Unlängst hat der Kanton Obwalden sein Steuergesetz
geändert. An der Urne haben über 80% der
Stimmenden Ja gesagt zu einem Gesetz, welches reiche
und wohlhabende Steuerzahler anziehen soll. Wie soll
das geschehen? Hohe Einkommen und Vermögen werden
künftig degressiv, statt wie üblich progressiv
besteuert werden. Das heisst, die Kurve der Steuerabschöpfung
erfolgt ab einer gewissen Höhe flach bis sinkend.
Damit erhofft sich Obwalden – heute ein Kanton
mit einer überdurchschnittlichen hohen Steuerbelastung
- einen „Marktvorteil“ im interkantonalen
und internationalen Steuerwettbewerb. Es wird argumentiert,
mit der Ansiedlung von Wohlhabenden würden die
Steuerkraft und damit die Erträge derart erhöht,
dass letztlich auch die „Normalverdienenden“ davon
profitierten.
Im Zusammenhang mit dem „Obwaldner Modell“ stellen
sich berechtigte Fragen, welche über die reine
Steuerpolitik hinausgehen.
Hat Obwalden die Bundesverfassung missachtet?
Diese Frage muss, nachdem bekanntlich eine entsprechende
Beschwerde eingereicht wurde, das Bundesgericht
beurteilen. Die Antwort wird aller Voraussicht NEIN
heissen. Allein mit der „wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit“ (Art.
127 BV) zu argumentieren, greift wohl zu kurz. Dieser
Verfassungsartikel bekommt im vorliegenden Fall Konkurrenz
von zwei andern, ebenfalls in der Bundesverfassung
festgeschriebenen Grundsätzen: der Kantonssouveränität
und der Steuerhoheit der Kantone. Es besteht, so
paradox es tönt, ein „Wettbewerb“ zwischen
den einzelnen Bestimmungen der Bundesverfassung.
Somit ist kaum vorstellbar, dass die Bundesrichter
einen souverän gefällten Volksentscheid,
der ganz eindeutig im eigenen kantonalen Zuständigkeitsbereich
liegt, als nichtig erklären.
Wie viel Wettbewerb soll sein?
Die Frage nach dem Zuwenig und Zuviel beim Wettbewerb
stellt sich nicht nur im Bereich der Steuern. Denken
wir bspw. an die Globalisierung. Dort verkommt die
reine, ausschliesslich wettbewerbsorientierte Marktwirtschaft,
wenn sie keine ökologische und soziale Verantwortung übernimmt,
zur Planwirtschaft des Kapitals.
Im internationalen Vergleich standen die Zeichen für
unser Land auch schon günstiger. Unsere Staatsquote1
ist seit 1990 von 31,5 auf 38,8 Prozentpunkte angestiegen.
Wenn diese Tendenz nicht gebrochen wird, verspielt
unsere exportorientierte Volkswirtschaft einen ihrer
letzten Trümpfe. Da kommt der interkantonale Steuerwettbewerb
eigentlich wie gerufen. Er wirkt dämpfend auf
die kantonalen Haushalte und ist somit ein taugliches
Instrument vis a vis der Entwicklung unserer Staatsquote.
Das Gegenstück zum Steuerwettbewerb wäre
eine vollkommen materielle Harmonisierung; die Folgen
davon sind absehbar. Es erfolgte eine Nivellierung
nach oben. Innert kürzester Zeit gehörten
wir zu den Spitzenreitern im Steuerniveau unter den
OECD Staaten. Die Zeche dafür zahlen würde
unsere gesamte Volkswirtschaft.
Zu viel Wettbewerb kann allerdings auch ins Gegenteil
münden und negative Folgen zeigen. Ein Staatswesen
ist eben nicht in allen Teilen mit einer privaten Unterneh-mung
zu vergleichen. Die Bürgerinnen und Bürger
unseres Landes, - ob in Zug, Zü-rich, Sarnen oder
im Entlebuch zu Hause - haben Anrecht auf eine staatliche
Grundleistung. Und diese ist in strukturschwachen
Gebieten nur erfüllbar, wenn ein angemessener
Ausgleich funktioniert. Gewährleisten kann ihn
in einem subsidiär aufgebauten Staatswesen wie
der Schweiz immer nur die nächst höhere Ebene:
Also, der Kanton für die Gemeinden und der Bund
für die Kantone. Momentan funktionieren die entsprechenden
Instrumente gut. Dafür braucht es aber auch in
Zukunft die staatspolitische Vernunft beider Seiten.
Die Geber müssen erkennen, dass es in einem wettbewerbsorientierten
Steuersystem immer auch unverschuldete Verlierer gibt.
Diese sind auf ein Ausgleichsgefäss angewiesen,
welches von den Gewinnern im Wettbewerb gespiesen wird.
Die Empfänger anderseits dürfen nicht in
eine absolute Anspruchsmentalität verfallen.
Denn Ausgleichszahlungen sind weder gottgegeben noch
in Stein gemeisselt. Je nach Situation bedarf es laufend
Korrekturen.
|
|
Was ist Steuergerechtigkeit?
Steuerpolitik ist nicht ausschliesslich unter dem Titel
der Oekonomie zu betrachten. Sie hat, wie immer sie auch
ausgestaltet ist, grossen Einfluss auf alle Bereiche
staatlichen Handelns. Sie beeinflusst primär nicht
nur die Staats- und Gesellschaftspolitik, sie bestimmt
auch die allermeisten Bereiche der Sachpolitik. Denn,
ohne die entsprechenden Einnahmen kann kein Haushalt
die notwendigen Ausgaben tätigen. Wie also soll
ein Staatswesen seine Mittel beschaffen? Ist es richtig,
wenn für reiche Leute degressive Ansätze gelten?
Wäre der Anreiz nicht schon gross genug, wenn die
Kurve flach, nicht aber sinkend verlaufen würde?
Darüber befindet in einer Demokratie letzten Endes
der Souverän, das Volk. Obwalden hat für sich
selber definiert, was innerhalb seiner Grenzen zu gelten
hat.
Die Frage sei allerdings erlaubt, wie die übrige
Schweiz reagiert hätte, wenn an Stelle des armen
Kantons Obwalden entweder Zürich oder Zug das Gleiche
gemacht hätte. Es ist vermutlich nach wie vor nicht
das Gleiche, wenn zwei das Gleiche tun (oder, in unserem
Fall, täten). Und so wäre wohl das, was momentan
für das finanzschwache Obwalden allgemein als tauglich
empfunden wird, für das reiche Zug kaum opportun.
Vom Obwaldner Modell profitieren Leute mit sehr hohen
Einkommen und Vermögen. In der Regel sind diese
in Bezug auf ihren Wohnsitz recht mobil. Sie können
es sich leisten, ihr Domizil zu wechseln. Bei ihrem
Entscheid spielt die Steuerbelastung am neuen Ort eine
wesentliche Rolle.
Dagegen ist eine Vielzahl von Bürgerinnen und
Bürger in unserem Land stark ortsgebunden. Allen
voran sind es die Landwirte, welche existenziell mit
ihrem Grund und Boden verbunden sind. Aehnlich präsentiert
sich die Situation bei vielen Gewerbetreibenden. Auch
sie sind auf Grund ihrer wirtschaftlichen Tätigkeit
mit ihrem Geschäftsdomizil verwurzelt. Und ebenfalls
nicht beliebig ihren Wohnsitz wechseln können
viele Inhaber von selbst genutztem Wohneigentum. Ueberwiegend
sind es Familien, welche mit ihrem Eigenheim stark
ortsgebunden bleiben.
Zusammengefasst kann man feststellen, dass es der so
genannte Mittelstand ist, welcher naturgemäss
stark mit seiner Wohngemeinde verbunden ist. Nur, unser
Steuersystem honoriert diese Domiziltreue nicht. Oder,
führt der Kanton Luzern nächstens so etwas
wie einen Treuerabatt für langjährige Steuerkunden
ein? Das wäre schweizweit ebenfalls neu. Was spricht
dagegen? Das Bundesgericht? Wohl kaum; denn der Souverän
hätte ja vorgängig entschieden….
Ruedi Lustenberger, Nationalrat (CVP), Romoos1 Staatsquote:
Ausgaben von Bund, Kantone und Gemeinden im Verhältnis
zum Bruttoinlandprodukt (BIP) in %.
|